Die Erforschung des Zusammenspiels zwischen unserem genetischen Erbe und der Umwelt – wie Schlaf, Ernährung oder sozioökonomischer Status – zur Erklärung bestimmter Merkmale ist ein faszinierendes Unterfangen, bei dem statistische Kenntnisse unerlässlich sind. Eine neue Open-Source-Methode ermöglicht es, genau zu schätzen, wie viel unseres Genoms uns anfällig für Umweltrisikofaktoren macht, die wiederum eine Veranlagung für bestimmte Krankheiten begünstigen. Die Studie, die diese Methode beschreibt, wurde von der SIB-Gruppe um Zoltán Kutalik an der Universität Lausanne durchgeführt und in Nature Communications veröffentlicht.

Gene als Verstärker oder Puffer der Umwelt

Warum sind Menschen mit heller Haut bei vergleichbarer Sonneneinstrahlung anfälliger für Hautkrebs als Menschen mit dunkler Haut? Das liegt daran, dass genetische Variationen nicht direkt bestimmte Krankheiten oder Merkmale verursachen, sondern uns empfindlicher oder weniger empfindlich gegenüber Umweltfaktoren wie Sonnenlicht, aber auch Ernährung, körperliche Aktivität usw. machen können. Sie können daher deren Auswirkungen verstärken oder abfedern. Dieses Phänomen wird als „Gen-Umwelt-Interaktion” oder GxE bezeichnet.

Eine neue Methode zur Quantifizierung des Einflusses von GxE auf komplexe Merkmale

Der Weg zur genauen Messung von GxE und dessen jeweilem Beitrag zu einem bestimmten komplexen Merkmal, wie beispielsweise Fettleibigkeit, ist mit methodischen Fallstricken gepflastert. Unhaltbare Annahmen hinsichtlich der Art und Weise, wie Umweltvariablen gemessen oder miteinander korreliert werden, werden dabei besonders in Frage gestellt. In dieser neuen Studie schlägt die SIB-Gruppe um Zoltán Kutalik einen Open-Source-Algorithmusnamens GRSxE_softwarevor , der dank seiner statistischen Leistungsfähigkeit den Beitrag von GxE zu komplexen Merkmalen genau abschätzen kann. Dabei werden alle interagierenden Umweltvariablen berücksichtigt, ohne dass diese gemessen werden müssen. Wie? „Dies ist möglich, weil GxE Spuren hinterlässt: Es bewirkt, dass das gemessene Ergebnismerkmal bei Menschen mit unterschiedlichen genetischen Veranlagungen mehr oder weniger variiert. Das ist analog (aber weniger bahnbrechend!) zur Entdeckung des Neptun: Die Diskrepanz zwischen der erwarteten und der beobachteten Bahn des Uranus ließ die Astronomen George Biddell Airy und John Adams erkennen, dass sie möglicherweise durch einen anderen Planeten verursacht wurde, dessen Masse und Umlaufbahn ohne Beobachtung geschätzt werden konnten“, erklärt Kutalik.

Die Tür zur Erforschung der Ursachen von Fettleibigkeit und anderen komplexen Merkmalen öffnen

Als Proof-of-Concept wandten sie ihre Methode auf den riesigen Datensatz der UK Biobank an und konnten für neun mit Adipositas in Zusammenhang stehende Messgrößen einen genetischen Beitrag von GxE von bis zu 10 % der Heritabilität nachweisen. Die Methode und die Ergebnisse könnten in Zukunft zu erheblichen Vorteilen für die öffentliche Gesundheit führen, indem Untergruppen anhand ihres genetischen Risikos identifiziert werden, bei denen Krankheitsinterventionen wirksamer wären.